Podiumsdiskussion zum Thema SM und Glaubensfragen

Am 20. Oktober 2001 in Hamburg
Brennpunkt: „Über Gott und die Welt“ – SM & Glaubensfragen

Eine Redaktionsbeitrag von Andrea

Können SMer praktizierende Christen sein? Und wenn ja – wie rechtfertigen Anhänger einer lustfeindlichen Amtskirche ihre Leidenschaften vor dem Glauben an ihren Gott?
Für viele Atheisten mag dieses Thema in erster Linie großes Gähnen auslösen. In einer Gesellschaft deren Werte sich zugunsten einer „persönlichen Selbstherrlichkeit“ verschieben, in der nur bissfeste Einzelkämpfer erfolgsgekrönt werden, in der ist wenig Platz für Glauben an höhere Mächte.
Heutige Paradiese liegen im Mittelmeerraum und zum Erreichen braucht es keinen Gott, sondern Charter per American Express. Alternativ findet der wahre Atheist sein Seelenheil in Selbstreflektion und „hoffnungsloser“ Wissenschaft, aber eines ist klar: Christen sind Langweiler in Birkenstocksandalen und Norwegerpullovern, die sich ihr letztes Plätzchen in Kirchenchor und Männergruppe gesichtet haben. Ein antiquiertes, fades Grüppchen eben, weit entfernt von lustvollen Grenzgängern SMiger Lebensart. Soweit zum Klischee.
Wer am 20.Oktober in Hamburg der Einladung des „Arbeitskreis SM & Christsein (SMuC)“ zur Podiumsdiskussion „Über Gott und die Welt“ folgte, der wurde schnell eines besseren belehrt. Erwartungsgemäß interessierten sich leider nur wenige ungläubige „Löwen“ für ihre „Brüder und Schwestern im Geiste“, aber das tat dem ebenso spannenden wie fröhlichen Abend keinen Abbruch.
Knapp 30 gut gelaunte Zuhörer tummelten sich im Cafe Sittsam um in Lack und Leder über SM & Christlichen Glauben zu diskutieren, wodurch das Klischee des Norwegerpullis bereits zu Beginn Lügen gestraft wurde. Inhaltlich und menschlich überzeugten die Diskutanten auf dem Podium. Darunter ein SM praktizierender Pastor, der fernab bigotter Kanzelreden über die Ähnlichkeit von SM & Glauben berichtete. „Beides habe mit der Hingabe und dem Wissen zu tun, dass etwas existiert, das größer ist als ich. Dass ich mich manchmal wehre, nicht mehr weiter weiß und nach einem langen, intensiven Abend mit einem blauen Arsch wieder aufgefangen werde“. Sympathische Worte eines Gottesmannes, dessen selbstverständliche Offenheit in diesen zwei kurzweiligen Stunden überzeugender war als jede Bibelstunde.
Es müsse keinen Widerspruch zwischen SM Sexualität und christlichem Glauben geben, darin waren sich alle Anwesenden schnell einig. Die Verbindung läge in der Suche nach tiefen Gefühlen und der Möglichkeit des Ankommens. Lustvoll extremes Empfinden durch Körper und Geist, würde ja genau durch Ruhepol, Sicherheit und Reflektion des Glaubens ergänzt. Andere Stimmen sprachen zurückhaltend von der schwierigen Auseinandersetzung, große Lust nach persönlichen Fetischen mit uneingeschränktem Glauben in Einklang zu bringen.
„Ich bin ein zerrissener Mensch zwischen dem was ich begriffen habe und dem was ich fühle. In manchen Momenten trennt mich mein Material von Gott. Ich fühle Jesus und begehre meine Wollust.“ Ein anderer Christ formuliert wiederum die Parallele: “ Jesus ist mein Gott und mein Diener. Es geht um gegenseitige Hingabe. Sowohl in meinem Glauben, als auch durch eine Sexualität innerhalb des Menschenbildes, in dem respektvoller SM durchaus seine Berechtigung hat“.
Eine klare Ethik-Diskussion also, die für so manchen Atheisten prächtiges Diskussionsfutter, aber auch erfreulich moderne christliche Ansichten transportiert hätte. So war das deutliche Fundament des Abends die Erkenntnis, dass die persönliche Entscheidung einer Bindung an Christus als Fundament christlicher Glaubenslehre, nicht mit verhärteter Kirchentradition einhergehen müsse. Unter dieser Prämisse fielen konkrete Beispiele ebenso deutlich wie lebensnah aus dem Rahmen: die Frage nach „Knieen“ im SM-Kontext versus religiöser Ehrerbietung, wurde durch Aussagen „Gott ist nicht über mir, sondern neben mir“ verständlich entkräftet. Und oben genannter Pastor brachte die Gretchenfrage intimen Interesses lächelnd auf den Punkt: „Ich habe im Schlafzimmer keine religiösen Symbole und im Arbeitszimmer kein Andreaskreuz. SM & Glaube trifft sich nicht im Sakrileg, sondern darf nebeneinander harmonieren. Gott ist für mich der Halt – auch in SM, nicht der Widerspruch“. Ein Mann übrigens, der sich auch innerhalb seiner Gemeinde für einen funktionierenden Weg des „Halboutings“ entschieden hat, indem er den Ring der O offen trägt ohne seine Sexualität verbal zu thematisieren. Hin und wieder werde der Hintergrund des Rings erkannt und nach kurzer Verwunderung ignoriert. Es ist eben kein Thema für die Amtskirche. Zumindest noch nicht. Oder wie ein anderer Teilnehmer formuliert: „auch wenn Christen somit einen doppelt schweren Outing-Weg in einer Vereinigung gehen müssen, die ihre eigene Lehre nicht begriffen hat.“ Klare Worte.
Nein, es war sicherlich kein Treffen verhuschter Glaubensbrüder. Die Menschen dieser Diskussionsrunde gaben ein positives Bild lustvoller, reflektierter und so gar nicht fremdbestimmter Lebensweise ab. Zweimal jährlich trifft sich der – übrigens nicht konfessionsgebundene – Arbeitskreis aus zwischenzeitlich knapp 100 Personen bundesweit, um miteinander zu sprechen und zu feiern. SM & Gottesdienste, alles zu seiner Zeit.
Ein bisschen mehr Toleranz von nichtgläubigen SMern wünschen sie sich. Nicht in die alternative Ecke gestellt zu werden und dass die Ethikdiskussion in unserer Szene ein wenig mehr Platz bekommt. Unverkniffen und ohne Bekehrungsanliegen. Und ganz langsam wollen sie ihre Existenz auch in ihre eigenen religiösen Institutionen tragen, auf Kirchentagen präsent sein, für positive Aufklärung sorgen. Ein mutiges und unterstützungswürdiges Anliegen das so einige Widerstände überwinden werden muss. Ob Glaube Berge versetzen kann?
Zumindest war an diesem Abend eines spürbar: daß Glaube der von Menschen getragen und gelebt wird, ein Fundament mit vielen Möglichkeiten sein kann. Daß er Glück und Offenheit spürbar macht, – fernab üblicher Klischees.
(c) Andrea Schneider