Kirchentag 2005 in Hannover

Fünfzehn aufgeregte und aufgekratzte Mitglieder des “Arbeitskreises SM und Christsein“ sitzen am Samstagabend in Hannover zusammen. Es ist Kirchentag und der “Markt der Möglichkeiten“ ist vorbei. Das Ergebnis und die Erlebnisse waren überwältigend: schon die offizielle Teilnahme einer SM-Gruppe beim größten Event der evangelischen Christen in Deutschland hatten wir zwar zu träumen, aber kaum zu hoffen gewagt, und die Resonanz, zu 99,5% aufgeschlossen und ehrlich interessiert, übertraf alle Vorstellungen. Eine Idee entsteht…
Dabei hatte, wie so oft im Leben, alles viel unscheinbarer angefangen, als eine “Schnapsidee“: Mitmachen beim ökumenischen Kirchentag 2004 in Berlin, das wäre doch was. Na ja, dachte so manche/r, bewerben kann man sich ja mal… Die Ablehnung kam auch prompt, pauschal und uninformiert: SM ist Gewalt und hat daher bei der Kirche nichts zu suchen. So weit, so schlecht und von einigen wohl auch so erwartet. Das wollten wir nicht auf uns sitzen lassen und so formulierten wir eine Entgegnung: Wenigstens die blöden Vorurteile wollten wir nicht im Raum stehen lassen, vielleicht sogar ein Gespräch mit einem der Verantwortlichen von Auge zu Auge führen. Nach einigen Änderungen war der Brief fertig.
Die Antwort blieb lange aus, doch dann plötzlich ein Signal. Und welches! Der diesmal evangelische Kirchentag ermutigte die Gruppe SM und Christsein, sich 2005 in Hannover mit einem Stand am “Markt der Möglichkeiten“ zu beteiligen!
…und ist verwirklicht worden
Nach vielen Vorbereitungsstunden war es dann soweit: Wir bauten den Stand unter den etwas argwöhnischen und fragenden Blicken unserer Standnachbarn auf, farbenfroh in Schwarz und Rot, mit einem als Kreuz gestalteten Ensemble aus Peitsche, Gerte und Bondageseil und informativen Texttafeln. Alles wie geplant erkennbar genug, aber ohne jegliche sexuelle oder moralische Provokation. Schon die ersten Stunden nach der Öffnung übertrafen alle Erwartungen: Anfragen, Nachfragen, zögerliche Outings und immer wieder die Bitte um ein ausführlicheres Gespräch folgten fast ohne Unterbrechung aufeinander.

Rückblick
Und so ging es über alle drei Tage. Das Ergebnis in Zusammenfassung: Etwa 1500 bis 1800 Menschen haben an unserem Stand Flyer mitgenommen, aktiv und aus freien Stücken, nicht in die Hand gedrückt bekommen!! Rund 300 Gespräche sind von uns geführt worden, manche nur einige Sätze lang, andere aber bis zu 1 1/2 Stunden. Das sind 12 pro Stunde!
Von allen Kontakten waren lediglich drei aggressiv-ablehnend, allen anderen war mindestens ehrlich an Information gelegen. Viele, auch auch Nicht-SMer, signalisierten Verständnis, Zustimmung und auch die Freude, dass “so was“ nun auch im Rahmen der evangelischen Kirche seinen Platz finden könne. Und immer wieder und oft mit großem Bangen Outings von Besuchern mit der Bitte um Beratung, etwa in Beziehungs- oder Glaubensfragen.
Eins der spektakulärsten Feedbacks kam fast ganz am Ende der Veranstaltung. Ein Mensch der zentralen Messeleitung kam bei uns vorbei, um sich unseren Stand einmal mit eigenen Augen anzusehen. Denn nach uns seien bei den Info-Punkten auf dem Messegelände mit Abstand die allermeisten Anfragen eingegangen.
Einige Ausschnitte von persönlichen Berichten…
…die Gespräche mit Presse und anderen Besuchern

Aus den vielen Eindrücken beim Kirchentag, insbesondere der Standarbeit, will ich nur weniges herausgreifen, was mir besonders wichtig geworden ist.
a)
meine Begegnungen mit der Presse habe ich nicht gesucht – bin ihnen aber auch nicht ausgewichen. In Köln sagt man: Et kütt wie et kütt – als Christ sage ich: Ich habe die Zusage Jesu: Wenn sie euch vor Gerichte etc. zerren – fürchtet euch nicht, der Geist wird euch die Worte geben, die ihr reden sollt so ist es auch gekommen. Bei der (Massen) Begegnung mit 4 Bild-Zeitungs-Reportern gleichzeitig kamen die alten ängste hoch (bei den anderen Pressegesprächen weniger), aber auch das stille Stossgebet: Herr hilf! Ich denke es hat auch seinen guten Grund, dass mancher Artikel in der Presse ausgeblieben ist – auch der in der Bild-Zeitung: Wir waren nicht die “Sensation“, die die Presse von uns vermutet hat, und das ist gut so.
b)
Gespräche mit Menschen und auch mit den Presse-Leuten gingen oft an meine Substanz und waren entsprechend aufwühlend und kräftezehrend aber immer befriedigend und ohne schalen Nachgeschmack – ich hatte nirgendwo den Eindruck nicht die richtigen Worte gefunden zu haben – Danke, Herr!
Es lassen sich herausstellen: Hilfestellung für Seelsorger (Pfarrkollegen) – froh machende Begegnungen mit Gleichgesinnten und last not least – die meisten Gespräche – Aufklärung ehrlich (auch kritisch) Fragender.
…ein Stimmungsbild am Stand
Manchmal kam ich gerade im rechten Moment an unseren Stand zurück, da waren dann so viele wissbegierige Personen, dass man sich „auf dem Gang“ austauschen musste um andere die Plakate lesen lassen zu können. Natürlich gab es auch mal Minuten, da war es ruhiger in den Gängen und am Stand. Wohl immer dann, wenn in anderen Hallen spannende Großveranstaltungen waren, doch langweilig war uns nie. Wir beobachteten auch die Menschen, die nicht auf uns zu kamen. Ihre Mimik und Haltung war schon, ohne Wort zu uns, vielsagend. Wobei ich meine, in manchen Augen oder um die Mundwinkel herum, den Ausdruck der Zufriedenheit gesehen zu haben. Menschen die wissen, dass sie auch SM Praktiken leben, gläubige Christen sind und sich mit beiden Teilen von Gott geliebt wissen. Es war immer spannend die Menschen, die vorbei gingen zu beobachten. In Bremen sagt man: „Lass uns an die Weser gehen, Schiffe gucken!“ Jedes sieht anders aus, auf jedem ist ein anderes Treiben, in jedem ist eine andere Ladung und jedes hat ein anders Ziel.
…auch die stärkende Anteilnahme von denen, die nicht am Stand waren, sind wichtig
Auch wenn ich unseren Stand nicht mit Gesprächen begleitet habe und somit quasi eine Stimme aus dem „off“ bin, möchte ich gerne ein paar Worte zu den Tagen in Hannover beisteuern.
Ich bin sehr glücklich, dass wir auf dem Kirchentag interessierten Christen das Thema SM nahe bringen konnten – was mir ganz persönlich sehr wichtig ist. Da ich momentan sowohl mit „meinem Christsein“ als auch mit meinem SM auf einem sehr suchenden, langsam Tabus durchdringenden und somit für mich erst mal unsicher gefühltem Boden befinde, musste ich mir eingestehen, mich nicht in der Öffentlichkeit gesprächsbereit zu fühlen. Das hat mich erst sehr traurig gemacht.
Aber immer mehr spürte ich eine große Freude in mir, einfach so wie ich gerade bin, dabei sein zu können.