Drei Tage hat Gott uns als Arbeitskreis auf dem Kirchentag 2023 mit einer dichten Folge von sehr offenen und persönlichen Gesprächen gesegnet. Ich bin immer noch verblüfft, wie sehr. Es gab reichlich Interesse von Nichtbetroffenen für unsere Arbeit, oft gepaart mit Ermutigung und Dank. Und auch Menschen, die sich mit ihrem Leben, mit ihrer Geschichte öffneten. Zart und verletzlich ihr Innerstes zeigten und echte Begegnung zuließen. Die in meist langen Gespächen mit großen Augen und weichen Knien begriffen haben, dass Gottes Liebe und seine Vergebung für wirklich jeden groß genug sind. Auch für sie. Und dass sie möglicherweise gar nicht so sehr absonderlich sind, wie sie selbst sich fühlen. Dass es ein gutes und von Gott erlebbar gesegnetes Leben gibt, auch wenn das eigene Herz nicht in der Mitte eines erdachten Stromes frommer Normativität schlägt. Selbst wenn zur eigenen Freiheit gehört, sich ganz in die Hand eines Anderen zu fügen. Oder dominant zu führen. Oder Schmerz zu geben oder zu nehmen. Selbst wenn ein grober Griff in den Nacken einem mehr bedeutet als ein zarter Kuss. Wenn gedemütigt zu werden eine erfüllende Erfahrung ist. Und so vieles andere mehr.
Die Fragestellungen bewegten sich zwischen „Darf ich das (fühlen/wollen/tun)?“ und „Wo ist das Problem?“. Wir sprachen über Herausforderungen, die sich aus Amt, Umfeld, der eigenen Partnerschaft oder körperlichen Einschränkungen ergeben. Gemeinsam konnten eigene und fremde Haltungen reflektiert und der Umgang mit ihnen weiterentwickelt werden.
Mit uns sprachen Menschen von Anfang 20 bis weit in die 70. Menschen aus der katholischen, evangelischen oder einer Freikirche. Die ganze Vielfalt möglicher Lebensgeschichten mit Menschen, die fest in einer 24/7-Beziehung leben am einen Ende des Spektrums und am anderen Ende solchen, für die BDSM ein quälend gewordener Traum ist, weil er sich nicht erfüllt.
Wir sprachen mit polyamoren Menschen, queeren, cis- wie trans- Menschen, dem weiten Spektrum von LGBTQIA+. Mit sehr besonderen Menschen und den nach eigenem Verständnis „ganz normalen“. Es ging um Erfahrungen, Sehnsüchte, Lebensentwürfe, das Leben mit Gott und dem christlichen Umfeld, um Kirche und Theologie. Und manchmal ging es auch nur darum, als Mensch einfach da sein zu dürfen.
Für eines dieser Gespräche allein haben sich aus meiner Sicht die sieben Stunden Anreise im völlig überfüllten Zug gelohnt. Allein, es waren so viele Gespäche, dass zwei oder drei von uns fast durchgängig im Gespräch waren.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“ sagt die Jahreslosung. Diesen liebevollen Blick Gottes auf uns dürfen wir in seiner Stellvertretung weiterschenken. Gemeinsam die Freiheit erleben, die es bedeutet, so angenommen zu werden, wie man ist – von ihm, der das Maß aller Dinge ist. Kind sein zu dürfen, in aller gebrochenen und gefallenen Imperfektion. Gerechtfertigt zu sein nicht durch Selbstgerechtigkeit, sondern weil Jesus uns sagt: „Es ist vollbracht.“ Ein Leben also in seiner Gerechtigkeit, trotz all unserer Fehler und Schwächen. Dann ist es plötzlich bedeutungslos, dass wir BDSM sind und unsere Form der Liebe eine raue. Alle sind wir nur begnadigte Sünder, das ist der einzige Weg in den Himmel. Jesus selbst. Er ist der Weg. Und die Wahrheit, die mich frei macht. Und das Leben, das ich als sein Geliebter nun endlich leben darf. Mit den Gaben, die er mir schenkt. Mit dem Herz in mir – auch wenn es devot oder dominant oder eben ganz speziell meines ist.
Was bei mir bleibt ist Dankbarkeit für unseren Gott, der mit uns zu tun haben will. Der uns ganz praktisch liebt. Für seinen Segensfluss durch uns hindurch. Dass er Christi Leib pflegt und stärkt, indem er die, die einander brauchen zusammen bringt.
Dankbarkeit für meinen Hauskreis, der für den Arbeitskreis vor und während des Kirchentages im Gebet eingestanden ist. Dankbarkeit besonders, weil die Mitglieder meines Hauskreises allesamt mein BDSM absonderlich finden und das Thema sie herausfordert.
Dankbarkeit für jeden Einzelnen, der bereit war, sich von Gott aus seiner frommen Sackgasse herauslieben zu lassen und ins Leben zu kommen.
Bis heute ist die Selbstmordrate unter BDSMern erhöht. Was wir tun, setzt Heimlichkeit, Selbstablehnung und Vereinzelung wirksam etwas entgegen. Jesu letztes Gebot ist: „An der Liebe untereinander soll die Welt erkennen, dass Ihr meine Jünger seid“ (Joh. 13,35). Ich bin dankbar, zusammen mit dem Arbeitskreis etwas wirklich Nützliches tun zu dürfen: Seinen Willen.