Erster Presseartikel über den Arbeitskreis

taz Berlin lokal Nr. 6171 vom 20.6.2000 Seite 23 Kultur
von Kathrin Passig

mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Warum tut es weh, wenn ich bete?

In kalten Gemäuern knien und sich gehorsam einem fremden Willen unterwerfen: Am Wochenende traf sich in Berlin der „Arbeitskreis SM und Christsein“. Die Teilnehmer unterhielten sich ganz offen über intimste religiöse Neigungen Ein bisschen arg jung und rotbackig sieht der „Arbeitskreis SM und Christsein“ aus, der im Garten der Jugendbildungsstätte Kaubstraße umgeben von Cola-Kisten sitzt.
„Seid ihr die perversen Christen?“ erkundige ich mich taktvoll. „Nein“, teilt man mir mit, „Christen schon, aber keine Perversen.“ „Wo tagen die denn?“ – „Einmal ums Haus und dann durch die blaue Tür wahrscheinlich.“ Pause. „Da willst du wirklich hin?“ Einmal ums Haus hinter der blauen Tür tagt der vor einem Jahr gegründete Arbeitskreis dann wirklich.
Da es ihn bisher nur als überregionale Organisation gibt, sind die Teilnehmer aus den entferntesten Ecken Deutschlands angereist, um sich Fragen zu stellen: „Wem sag ich was?“ „Wie sag ichs meinem Partner?“ Und: „Was bedeutet SM im theologisch-sexualmoralischen Lichte besehen, insbesondere vor dem Hintergrund eines Arbeitsrechtsverhältnisses mit einem Tendenzbetrieb, der Liebe in erster Linie ,Agape‘ buchstabiert und mit, Eros‘ immer noch Probleme hat?“ Als Laie ist man versucht, in der letzten Frage das zentrale Thema zu vermuten. Schließlich sind die Kirchen die letzten Arbeitgeber, die sich noch in die Privatangelegenheiten ihrer Angestellten einmischen dürfen. Tatsächlich aber ist von Verfolgte-Randgruppen-Paranoia nicht viel zu spüren. Private Glaubenskonflikte stehen gerade für Katholiken und Angehörige evangelischer Freikirchen, die statt der Schere im Kopf mit einem ganzen Reißwolf ausgerüstet sind, im Vordergrund.
So fruchtbar der Nährboden der christlichen Symbolik auch für sadomasochistische Vorstellungen ist: Mit einer Umsetzung außerhalb offizieller Passionsspiele tut man sich dann doch immer noch schwer. Die Verbindung zwischen Religion und SM ist, von den Flagellantensekten des Mittelalters bis zum verbotenen „Masochismus ist heilbar“-Aufkleber mit dem gekreuzigten Heiland, immer wieder postuliert worden. Ein kausaler Zusammenhang scheint dann aber – abgesehen von der sozialethisch desorientierenden Wirkung einer Beschäftigung mit Heiligenlegenden – wohl doch nicht belegbar.
Die Beweggründe des Arbeitskreises sind dann auch eher pragmatischer Natur: „Mit meinen christlichen Freunden kann ich mich nicht über SM unterhalten, und mit SMlern nicht über meinen Glauben“, erklärt Anna, die Initiatorin, und Susanne fügt hinzu: „Dass ich SMlerin bin, weiß so ziemlich jeder, und das stört auch keinen. Dass ich religiös bin, so ein bisschen wenigstens, weiß kaum jemand. Ich glaube, da würde ich auch schräg angesehen.“
Wer zwei Randgruppen angehört, muss eben beide Wangen hinhalten: „Da es auf die Dauer auch langweilig wird, sich nur über SM zu unterhalten“, heißt es im Programm, „wird es auch Zeiten geben, in denen dieses Thema in den Hintergrund rückt, und dafür mehr über den Glauben geredet wird.“
Ein bisschen peinlich ist es mir ja schon, mit anzuhören, wie andere sich ganz offen über ihre religiösen Neigungen unterhalten. Religion ist schließlich eine intime Angelegenheit. Und beim Zuhören fragt man sich unweigerlich: Wie kann denn so was Spaß machen? In kalten Gemäuern knien, sich gehorsam einem fremden Willen unterwerfen, büßen womöglich und dann immer diese Folterdarstellungen vor Augen? Zum Glück ist die Teilnahme an wirklich bizarren Praktiken wie dem Absingen von Kanons vor dem Essen ja freigestellt.

Von diesem ersten Artikel über unsere Truppe fühlen sich zwar nicht alle von uns unbedingt so dargestellt, wie wir uns sehen, aber es ist der erste Bericht und ziemlich amüsant. Er entstand nach unserem ersten Bundestreffen in Berlin